Symbolbild Sterbehilfe

17.02.11: Bundesärztekammer legt überarbeitete Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung vor – Abschied vom ärztlichen Ethos bei Suizid-Beihilfe

Die Bundesärztekammer hat nach längerer vorangegangener Debatte (siehe Pressespiegel unten) am 17.02.11 ihre überarbeiteten Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung vorgelegt. Darin verurteilt sie nicht mehr die ärztliche Mitwirkung an der Selbsttötung. Gleichwohl bekräftigt sie, dass die Hilfe zum Suizid „keine ärztliche Aufgabe“ ist. Die mit Spannung erwarteten überarbeiteten Richtlinien wurden bereits am 21.01.11 von der Bundesärztekammer (BÄK) verabschiedet.

„Der Umgang mit schwerkranken und sterbenden Menschen ist in den letzten Monaten immer stärker in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit gerückt. Dabei hat die Bundesärztekammer gegen jede Form von aktiver Sterbehilfe klar Position bezogen. Dies entspricht auch dem Willen der übergroßen Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte, wie eine Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag der Bundesärztekammer unlängst bestätigte. Auch in unseren nun überarbeiteten Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung wird unmissverständlich klargestellt, dass die Tötung von Patienten strafbar ist, auch wenn sie auf Verlangen des Patienten erfolgt“, erklärte der BÄK-Präsident, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, in einer Pressemitteilung anlässlich der Vorstellung der überarbeiteten Grundsätze.

Abschied vom ärztlichen Ethos

Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten sei es, Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern sowie Sterbenden Beistand zu leisten. „Diese ärztliche Ethik ist allgemeiner Konsens. Sie wird auch von den Ärztinnen und Ärzten ernst genommen und in ihrer täglichen Arbeit beachtet“, betonte Hoppe. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung sei hingegen keine ärztliche Aufgabe. Diese Formulierung trete an die Stelle der bisherigen Feststellung, dass die Mitwirkung des Arztes an der Selbsttötung des Patienten dem ärztlichen Ethos widerspreche. Damit würden die „verschiedenen und differenzierten individuellen Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft“ anerkannt, ohne die Grundausrichtung und die grundlegenden Aussagen zur ärztlichen Sterbebegleitung infrage zu stellen.

In diesen Zusammenhang betonte Hoppe, dass sich auch jene Ärztinnen und Ärzte, die bereit seien, für ihre schwerstkranken und sterbenden sowie unter schweren Schmerzen leidenden Patienten Suizidbeihilfe zu leisten, intensiv mit dieser schwierigen Thematik auseinandersetzten. Hoppe verwies auf die Befragung der BÄK, in der die betreffenden Ärzte als wichtigste Bedingungen für eine Suizidbeihilfe eine medizinisch eindeutige – also hoffnungslose – Prognose, die gute Kenntnis des Patienten sowie einen hohen Leidensdruck nannten.

„Rund 95 Prozent aller Fälle, in denen bei Patienten Suizidgedanken aufkommen, sind mit einer behandelbaren Krankheit verbunden, insbesondere mit Depressionen in den verschiedenen Ausprägungen. Zur Sorgfalts- und Garantenpflicht des Arztes gehört es, diese Krankheit zu erkennen und zu behandeln. Viele Patienten lassen dann ihren Todeswunsch fallen“, sagte Hoppe.

Hintergründe zur Überarbeitung der Ärztekammer-Grundsätze zur Sterbebegleitung

Die Überarbeitung der Grundsätze aus dem Jahr 2004 war laut BÄK unter anderem nötig geworden, weil durch das dritte Betreuungsrechts-Änderungsgesetz vom 29. Juli 2009 und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen neue Rahmenbedingungen geschaffen wurden. So wurde der Abschnitt IV der Grundsätze zur Ermittlung des Patientenwillens den neuen gesetzlichen Regelungen angepasst.

In einem gesonderten Abschnitt neu gefasst wurde die Passage, die sich mit der Betreuung von schwerstkranken und sterbenden Kindern und Jugendlichen befasst. „Wir möchten, dass Ärztinnen und Ärzte nicht nur Eltern oder andere Sorgeberechtigte fragen, wie sie verfahren sollen, sondern auch berücksichtigen, was die Kinder selbst für Wünsche äußern“, begründete Hoppe diesen Schritt.

Die „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbegleitung“ haben keine rechtliche Bindekraft sondern sind lediglich eine Art Orientierungshilfe für ärztliches Handeln. Neben den Grundsätzen gibt es das ärztliche Standesrecht, das für Ärzte praktisch Gesetz ist. Im Standesrecht ist die Beihilfe zur Selbsttötung bislang noch verboten. Allerdings ist auch hier eine Überarbeitung im Gange und könnte Ende Mai auf dem Deutschen Ärztetag in Kiel beschlossen werden.

Kritik an den geänderten BÄK-Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung

Scharfe Kritik an den Grundsatz-Änderungen in Bezug auf die ärztliche Hilfe zur Selbsttötung übte die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung. „Ärzte wollen sich nicht ausschließlich als Leistungserbringer verstehen. Medizinisches Handeln folge daher nicht nur der Gewinnmaximierung, sondern auch dem ärztlichen Ethos. Mit diesem Argument verschafft sich die Bundesärztekammer immer wieder Gehör in der gesundheitspolitischen Diskussion und versucht so, die Rolle des Patientenfürsprechers zu übernehmen“, erklärt der Geschäftsführer der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in einer Pressemitteilung.

„Nun aber ist das ärztliche Ethos vom Vorstand der deutschen Ärzteschaft abgeschafft worden. Das Ethos hat bei der Ablehnung der ärztlichen Begleitung zur Selbsttötung keine Bedeutung mehr. Die Ablehnung der Suizidbegleitung wird jetzt allein damit begründet, dass sie keine ärztliche Aufgabe sei. Somit bleibt der Arzt sich selbst überlassen, wenn es um die Gewissensentscheidung geht, eine Selbsttötung zu unterstützen oder abzulehnen. Ethisches Handeln braucht aber allgemeingültige Regeln, um nicht gewissenlos zu werden“, so Brysch.

In der Praxis befinde sich der Arzt im Dilemma. „Wie groß muss das Leiden eines Menschen sein, um seinem Wunsch nach Selbsttötung zu folgen? Es gibt keinen objektiven Maßstab für das Leid eines Menschen“, gab Brysch zu bedenken. Die Patientenschutzorganisation der Schwerstkranken und Sterbenden appelliert an den Deutschen Ärztetag, sich der Abschaffung des ethischen Prinzips in der Muster-Berufsordnung zu widersetzen.

„Schon heute erleben immer mehr Patienten ärztliches Handeln als wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Die Verunsicherung der Patienten ist groß. Deshalb sollte der Deutsche Ärztetag klären, was ethisches Handeln des Arztes heute ist“, so Brysch. Ebenso müsse deutlich werden, dass Beihilfe zur Selbsttötung keine ethische Fortführung der Sterbebegleitung ist.

Ärzte für das Leben e.V. empört über den Beschluss der Bundesärztekammer

Die Ärzte für das Leben e.V. zeigten sich „empört über den Beschluss der Bundesärztekammer, Ärzten die Assistenz beim Suizid freizustellen und es dem einzelnen Arzt zu überlassen, nicht nur bei Abtreibung am Lebensbeginn des Menschen, sondern künftig auch am Lebensende eines Patienten an Tötungshandlungen mitzuwirken.“

„Die Vorgabe, mit diesem Schritt ärztliches Berufsrecht künftig an das geltende Strafrecht angleichen zu wollen, kann diesen Entscheid in keiner Weise erklären, geschweige denn ethisch untermauern. Vielmehr wird hier der medizinische Beihilfeakt beim Suizid in ein ethisches Niemandsland verschoben, wenn es lapidar heißt, eine solche tödliche Mitwirkung gehöre nicht zur ärztlichen Aufgabe“, erklärte Prof. Dr. Ingolf Schmid-Tannwald, 1. Vorsitzender der Ärzte für das Leben e.V. in München in einer Pressemitteilung vom 18.02.11.

Das sei aus Sicht des Ärztevereins ein „beschwichtigender Vorwand, der die Mitwirkung beim Töten ethisch neutralisieren“ will. Ein solches Handeln verstoße gegen die bisherige über 2000-jährige hippokratische Berufstradition und würdige Ärzte erneut zu „Dienstleistern“ in Sachen „auftragsgemäßes Töten“ herab. Ärzte für das Leben e.V. fordern aus den genannten Gründen eine Revision des Beschlusses der Bundesärztekammer.

Weitere Informationen:

Pressespiegel zu den geänderten Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung

Ergänzend finden Sie eine Presseschau mit chronologisch sortierter Auswahl von Meldungen zu den geänderten Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, die einen Überblick über den Verlauf der Diskussion geben.

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