03.07.21: Forschungsverbund Palliativversorgung in Pandemiezeiten (PallPan) veröffentlicht Nationale Strategie für die Betreuung von schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen
Die Corona-Pandemie hat in vielen Bereichen zu räumlicher Distanz geführt und menschliche Nähe eingeschränkt. Vor allem in der Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen haben die Betroffenen selbst und ihre Angehörigen dies als sehr schmerzvoll und häufig traumatisierend erlebt. Dies ergaben umfassende Studien des Forschungsverbundes Palliativversorgung in Pandemiezeiten (PallPan). Als Antwort darauf stellte PallPan am 23.06.2021 die Nationale Strategie für die Betreuung von schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen in Pandemiezeiten vor.
Der Forschungsverbund PallPan des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu Covid-19, Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) besteht aus palliativmedizinischen Einrichtungen von 13 Universitätsklinken. Er widmet sich den Erfahrungen, Belastungen und Herausforderungen in der Begleitung schwerkranker und sterbender Menschen in der aktuellen Pandemie. In 16 Studien wurden innerhalb von neun Monaten über 1.700 Betroffene, Versorgende und Verantwortliche im Gesundheitssystem und in der Politik nach ihren Erfahrungen gefragt und deren Aussagen systematisch untersucht und ausgewertet.
Auf Basis dieser Ergebnisse und mit Hilfe von 120 ExpertInnen aus den verschiedenen Bereichen von Gesundheitswesen, Verwaltung und Politik wurde dann die Nationale Strategie für die Betreuung von schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen in Pandemiezeiten entwickelt und genehmigt.
33 Handlungsempfehlungen
Kernstück der Strategie sind 33 konkrete Handlungsempfehlungen, die sich in drei Abschnitte gliedern: PatientInnen und Angehörige unterstützen, Mitarbeitende unterstützen sowie Strukturen und Angebote der Palliativversorgung unterstützen und aufrechterhalten.
PatientInnen und ihre Angehörigen wünschen sich nach den Befragungsergebnissen laut Pressemitteilung von PallPan vor allem für die Zukunft Nähe am Lebensende auch in einer Pandemie zu ermöglichen. Hierfür brauche es abgewogene Besuchsregelungen für Einrichtungen wie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, aber auch einen rechtlichen Rahmen, den die Politik schaffen muss. Einzelfallentscheidungen und klar definierte Ausnahmeregelungen haben sich dem Verbund zufolge als eine praktikable und hilfreiche Strategie bewährt und sollten überall genutzt werden.
Bezüglich Mitarbeitende in der Versorgung bräuchten diese vor allem ausreichend Schutz vor Infektionen, aber auch grundlegende palliativmedizinische Kenntnisse und psychosoziale Unterstützung in herausfordernden Situationen, z.B. auf der Intensivstation oder Pflegeheimen. „Auch in Pandemiezeiten stehen schwerkranken und sterbenden Menschen eine gute Symptombehandlung und würdevolle Begleitung im Einklang mit dem Patientenwillen zu. Das gilt für Infizierte wie für Nicht-Infizierte. Hier brauchen die Versorgenden in der erhöhten Belastung einer Pandemie mehr Unterstützung,“ betonte Prof. Dr. Steffen Simon von der Uniklinik Köln und einer der beiden Koordinatoren des PallPan-Verbundes.
Von Seiten der Politik sowie der Kliniken und Pflegeeinrichtungen müsse darauf geachtet werden, dass die Palliativversorgungsstrukturen auch und gerade in einer Pandemiesituation aufrecht erhalten bleiben. „Palliativstationen dürfen in einer Pandemie nicht geschlossen werden, vielmehr sollten die ambulanten und stationären palliativmedizinischen Dienste für die notwendige Versorgung von schwerkranken und sterbenden Patient*innen arbeitsfähig bleiben und ggf. angepasst oder sogar erweitert werden, z.B. für Infizierte, die nicht mehr geheilt werden können,“ appellierte Prof. Dr. Claudia Bausewein vom LMU Klinikum München, ebenfalls Koordinatorin des PallPan-Verbundes und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).
„Versorgung und Sterbebegleitung Schwerkranker hat sich verschlechtert“
Die an dem Forschungsprojekt beteiligte Medizinische Hochschule Hannover (MHH) berichtete in einer Presseaussendung ergänzend über die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zu Aspekten der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung.
Das MHH-Team legte dabei den Fokus auf die Befragung von HausärztInnen sowie niedergelassene OnkologInnen. „In der ersten Phase der Pandemie lag der Fokus meist auf den COVID-19-Erkrankten in der stationären Versorgung“, sagte Professorin Dr. Stephanie Stiel vom Institut für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin. „Die Menschen mit anderen Erkrankungen sind dagegen aus dem Blick geraten.“
Bei den niedergelassenen Onkologinnen und Onkologen habe es zunächst vor allem Probleme durch die Anpassung der Praxisabläufe an die pandemiebedingten Hygienevorschriften gegeben. Auch die Terminvergabe für Chemo- und Transfusionstherapien sei in der Anfangsphase schwieriger gewesen, weil Erkrankte zunächst noch verunsichert gewesen seien. Das habe sich jedoch schnell gelegt. „Auch hinsichtlich der Behandlungsqualität, so berichten die befragten niedergelassenen Onkologinnen und Onkologen, gab es kaum Einbußen“, betonte Stiel.
Hausärztinnen und Hausärzte hatten neben der Reorganisation ihrer Praxisabläufe jedoch mit weiteren Schwierigkeiten zu kämpfen. So konnten sie laut MHH aufgrund der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote weniger Krankenbesuche zu Hause und in Pflegeeinrichtungen machen. „Das hat aus hausärztlicher Sicht zur Verschlechterung der Versorgung schwerkranker und sterbender Menschen geführt“, betonte Institutsdirektor Professor Dr. Nils Schneider. Das habe nicht nur Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit. Auch die seelische Verfassung der Kranken und ihrer Angehörigen habe gelitten.
„Generelle Kontakteinschränkungen und Besuchsverbote in Pflegeeinrichtungen haben den Menschen am Lebensende und ihren Angehörigen nicht gut getan“, so Schneiders Fazit. Hausärztinnen und Hausärzte wünschten sich daher in lokale Krisenteams eingebunden zu sein, damit die Belange von Menschen am Lebensende und ihrer Angehörigen künftig angemessen berücksichtigt werden.
Informationsplattform und Trauerangebote
Nach Veröffentlichung der Handlungsempfehlungen Ende Juni plant der PallPan-Verbund weitere Vorhaben. Konkret wollen sie eine webbasierte Informationsplattform aufbauen und Unterstützungsmaterialien für trauernde Angehörige sowie Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern entwickeln. Zudem will der Verbund PallPan in eine „Nationale Pandemic Preparedness“ für das deutsche Gesundheitswesen integrieren sowie die Handlungsempfehlungen steig weiterentwickeln.
Der Forschungsverbund PallPan wird als Teil des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) vom BMBF gefördert. Dem Forschungsverbund gehören die palliativmedizinischen Einrichtungen der Universitätsklinika an den Standorten Aachen, Bonn, Düsseldorf, Erlangen, Freiburg, Göttingen, Hamburg, Hannover, Jena, Köln, München, Rostock und Würzburg an. Die koordinierende Gesamtleitung haben Prof. Dr. med. Claudia Bausewein vom LMU Klinikum München und Prof. Dr. Steffen Simon von der Uniklinik Köln.
Weitere Informationen:
Nationale Strategie für die Betreuung von schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen in Pandemiezeiten (PallPan)
Bausewein, Claudia, & Simon, Steffen. (2021, June 22). Zenodo
Dort kostenfreier Download, 81 Seiten (PDF-Format, 1,6 Mb)
» Webseite von PallPan – Nationale Strategie für Palliativversorgung in Pandemiezeiten