17.11.13: Ärzte im Nationalsozialismus: Forschungspreis für historische Aufarbeitung verliehen

Am 15. November 2013 wurde zum vierten Mal der Forschungspreis für wissenschaftliche Arbeiten zur Geschichte der Ärzte im Nationalsozialismus verliehen. Verleiher des mit insgesamt 10.000 Euro dotierten Forschungspreis waren die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG).

Auch wenn die Mitschuld der Ärzte an den Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte wissenschaftlich untersucht wurde, sei die Rolle der Ärzteschaft im Dritten Reich bei weitem noch nicht ausreichend aufgearbeitet worden, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung zum Hintergrund der Preisverleihung.

Die Jury besteht aus Vertretern des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Bundesverbandes Jüdischer Ärzte und Psychologen in Deutschland. Weitere Jurymitglieder stammen von der BÄK und der KBV sowie einem vom BMG benannten Vertreter. Die Juroren vergaben zwei Hauptpreise und zwei Sonderpreise. Die Jury würdigte ausdrücklich die ausgezeichnete Qualität der eingereichten Arbeiten und deren weit gefächerte Themen- sowie Methodenvielfalt, die ein breites Spektrum von der Alltags- bis zur Institutionengeschichte abdecke.

Dissertation zur Rolle der Medizinischen Fakultät in Kiel während der NS-Zeit

So widmet sich die mit dem diesjährigen Forschungspreis ausgezeichnete Dissertation von Dr. Karl-Werner Ratschko der Rolle der Medizinischen Fakultät in Kiel während der NS-Zeit. Die Stärke der wissenschaftlichen Untersuchung sei die detailgenaue Beschreibung, wie eine Fakultät von nationalsozialistischer Propaganda durchdrungen und zu deren Instrument wurde. Die Arbeit besäße einen hohen Multiplikationsfaktor, andere Hochschulen zu inspirieren, ihre Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus ebenfalls aufzuarbeiten, so die Jury.

Neben der Dissertation von Dr. Ratschko wurden drei weitere Arbeiten ausgezeichnet. Bei dem von Matthis Krischel, Friedrich Moll, Julia Bellmann, Albrecht Scholz, Dirk Schultheis vorgelegten Doppelband zur Fachgeschichte der Urologie in Deutschland und Österreich im Nationalsozialismus hob die Jury die Mischung aus biographischen Kurzdarstellungen und exemplarischen Lebensbildern von Opfern und Tätern hervor. Zudem sei der Versuch unternommen worden, die Entwicklung des Fachs Urologie und Medizin des Nationalsozialismus zusammenzubringen. Ziel sei es gewesen, die Auswirkungen von Vertreibung, Emigration, Anpassung und Selbstindienstnahme mit Fokus auf die den nationalsozialistischen Interessen angepasste Schwerpunktsetzung des Fachgebietes, wie Eugenik und Sterilisation, zu beschreiben.

Sonderpreis der Jury für Arbeit über jüdische Ärzte in Schöneberg

Einen Sonderpreis der Jury erhielt Dr. Ruth Jacob für ihre Arbeit über jüdische Ärzte in Schöneberg. Die von ihr konzipierte Wanderausstellung dokumentiere anhand eines bestimmten Stadtviertels, eine „Topographie der Vertreibung“, die auch andere Städte dazu motivieren sollte, eine historische Aufarbeitung ihres Medizinalwesens in der Zeit des Nationalsozialismus zu beginnen.

Der zweite Sonderpreis ging an Sigrid Falkenstein, die in ihrer monografischen Arbeit unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider den Spuren der im Zuge der T-4 Aktion ermordeten Anna folgt. Die Jury lobt die als Briefroman konzipierte Arbeit als originell, da sie die Konsequenzen geistiger Behinderung in der Zeit des Nationalsozialismus nachzeichne.

Besondere Erwähnung der Jury fanden zudem zwei Forschungsarbeiten wegen ihrer interessanten Themensetzung. Die Dissertation von Dr. Katrin Günther über die Behandlung von Soldaten und Zivilisten in der Marburger Universitäts-Nervenklinik ziele auf den sozialhistorischen Hintergrund und die Rekonstruktion von Diagnose, Therapie sowie Umgang mit Patienten im Alltag unter Kriegsbedingungen.

Ebenfalls bemerkenswert fand die Jury die Auftragsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Die Untersuchung habe sich intensiv mit deren Präsidenten in der Zeit von 1933 bis 1945 auseinandergesetzt und habe bewiesen, dass ein Aufarbeitungsprozess der eigenen Fachgesellschaft mit ihrer Geschichte im Nationalsozialismus weiterhin eine wichtige Aufgabe sei, um gegen das Vergessen und eine Verharmlosung der Taten der Akteure anzutreten.

Ergänzende Informationen:

Wissenschaftliche Fachgesellschaften: Ein schmerzhafter Prozess
Jachertz, Norbert
Die „Aufarbeitung“ der NS-Zeit läuft. Die Kontinuitäten nach 1945 machen vielen wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften zu schaffen.
Deutsches Ärzteblatt 2013; 110(46) 15.11.13

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