29.10.09: Neue Sterbehilfedebatte in der Schweiz: Bundesrat will organisierte Suizidhilfe regeln

29.10.09: Neue Sterbehilfedebatte in der Schweiz: Bundesrat will organisierte Suizidhilfe regeln

In der Schweiz ist erneut eine Sterbehilfe-Debatte entbrannt. Hintergrund sind Bestrebungen des Schweizer Bundesrats, die organisierte Suizidhilfe durch Organisationen wie Exit oder Dignitas ausdrücklich zu regeln.

Dazu schlägt er zwei Varianten zur Änderung des Strafrechts vor: Entweder eine Festlegung von klaren Sorgfaltspflichten im Strafrecht für Mitarbeitende von Suizidhilfeorganisationen oder aber die organisierte Suizidhilfe zu verbieten. Dies teilte das Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement der Schweiz in einer Presseaussendung am 28.10.09 mit. Demnach hat der Bundesrat an diesem Tag die zwei Varianten eines Gesetzesentwurfes mit einem erläuternden Bericht in die Vernehmlassung geschickt. Die Vernehmlassung ist eine Phase im Gesetzgebungsverfahren und soll bis am 1. März 2010 dauern.

Schweizer Bundesrat will keine Abstriche an der bisherigen liberalen Regelung machen

An der bisherigen liberalen Regelung, welche die Beihilfe zum Suizid ohne selbstsüchtige Beweggründe zulässt, will der Bundesrat der Behörde zufolge grundsätzlich keine Abstriche machen. Da die Suizidhilfeorganisationen aber den rechtlichen Spielraum vermehrt ausschöpfen und sich teilweise den staatlichen und standesrechtlichen Kontrollmechanismen entziehen, drängen sich nach Überzeugung des Bundesrates Leitplanken und Schranken auf.

Diese sollen verhindern, dass sich die organisierte Suizidhilfe zur gewinnorientierten Tätigkeit entwickelt. Sie sollen zudem gewährleisten, dass die organisierte Suizidhilfe todkranken Patienten vorbehalten bleibt und nicht durch chronisch oder psychisch kranke Menschen in Anspruch genommen werden kann. Der Suizid solle nur der letzte Ausweg sein. Im Vordergrund müsse nach Ansicht des Bundesrates der Schutz des menschlichen Lebens stehen. Insbesondere durch die Förderung der Palliativmedizin und der Suizidprävention können suizidwilligen Personen Alternativen zum Suizid geboten werden.

1. Variante: Ergänzung bestehender Gesetze um strenge Sorgfaltspflichten

Der vom Bundesrat bevorzugte Gesetzesentwurf sieht vor, die beiden gleichlautenden Artikel 115 des Strafgesetzbuches (StGB) und Artikel 119 des Militärstrafgesetzes (MStG) mit verschiedenen Sorgfaltspflichten zu ergänzen. Wesentlich sind dabei folgende Elemente: Mitarbeitende von Suizidhilfeorganisationen machen sich demnach in einem konkreten Fall von Suizidhilfe dann nicht strafbar, wenn erwiesen ist, dass sie alle im StGB aufgeführten Sorgfaltspflichten beachtet haben. Zunächst muss die suizidwillige Person ihren Willen frei äussern und sich ihren Entscheid reiflich überlegt haben. Diese Bestimmung soll überstürzte und unbedachte Entscheide ausschließen.

Erforderlich sind zudem zwei Gutachten von zwei verschiedenen Ärztinnen oder Ärzten, die von der Suizidhilfeorganisation unabhängig sind. Ein Gutachten muss belegen, dass die suizidwillige Person urteilsfähig ist, das zweite, dass sie an einer körperlichen Krankheit leidet, die unheilbar ist und in kurzer Zeit zum Tod führen wird. Damit ist die organisierte Suizidhilfe für Personen mit chronischen Krankheiten ohne tödliche Prognose sowie für psychisch Kranke ausgeschlossen. Die umfassende Behandlung, Pflege und Unterstützung im Sinne der Palliativmedizin soll es diesen Menschen ermöglichen, in Würde weiter zu leben.

Suizidhelfer muss Alternativen zum Suizid aufzeigen

Der Suizidhelfer muss ferner Alternativen zum Suizid aufzeigen und mit der betroffenen Person prüfen. Das eingesetzte Medikament muss zudem ärztlich verschrieben worden sein, was eine nach ärztlichen Berufs- und Sorgfaltspflichten vorgenommene Diagnose und Indikation voraussetzt. Der Suizidhelfer verfolgt keinen Erwerbszweck, er darf keine Gegenleistung annehmen, die die Kosten und Auflagen für die Suizidhilfe übersteigen würde. Diese Bestimmung stelle sicher, dass sich der Suizidhelfer nicht von eigennützigen Motiven leiten lässt und dass die Hilfe für die suizidwillige Person im Vordergrund steht. Die Suizidhilfeorganisation und der Suizidhelfer müssen schließlich über jeden Fall eine vollständige Dokumentation erstellen, um Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden zu erleichtern.

Der Bundesrat ist laut Mitteilung überzeugt, dass mit der Festlegung dieser Sorgfaltspflichten Auswüchse und Missbräuche in der organisierten Suizidhilfe unterbunden und der so genannte Sterbetourismus eingedämmt werden können. Denn in den letzten Jahren kamen immer mehr sterbewillige Patienten aus dem Ausland, um sich von Sterbehilfe-Organisationen wie Dignitas beim Suizid helfen zu lassen.

2. Variante: Verbot der organisierten Suizidhilfe

Als Variante zu einer Einschränkung stellt der Bundesrat ein Verbot der organisierten Suizidhilfe zur Diskussion. Diese Variante geht von der Annahme aus, dass eine in einer Suizidhilfeorganisation tätige Person von vorneherein nicht aus rein altruistischen Gründen handeln und eine ausreichend enge Beziehung zur suizidwilligen Person entwickeln kann.

Scharfe Kritik an den Plänen kam erwartungsgemäß von den beiden Sterbehilfeorganisationen Exit und Dignitas. Exit bezeichnete die vorgeschlagene Einschränkung der Sterbehilfe als „inakzeptabel“. Mit den Bestimmungen würden die Patienten „bevormundet“, so die Organisation in einer Pressemitteilung. Nicht mehr sie selber würden entscheiden, wann es an der Zeit ist zu sterben, sondern zwei Gutachter. Damit werde das Menschenrecht auf Selbstbestimmung verletzt. „Das geplante Strafgesetz würde sie zwingen, ihr Leiden zu verlängern, unqualifizierte Hilfe von Laien in Anspruch zu nehmen oder aber einsam und gewaltsam aus dem Leben zu scheiden. Das ist Menschenquälerei“, kritisierte Exit. Die Organisation lehnt daher das vorgeschlagene Gesetz in dieser Form ab und kündigte an, dagegen nötigenfalls das Referendum ergreifen.

Die Konkurrenzorganisation Dignitas nannte die Regelungsvorschläge einem „unerhörten Affront“ für chronisch Kranke und urteilsfähige psychisch Kranke, welche die Voraussetzungen des Bundesrates nicht erfüllten, aber dennoch sterben möchten. Der Bundesrat leiste damit „einsamen Suiziden auf Bahngleisen und von hohen Brücken“ Vorschub. Auch Dignitas kündigte daher an, „mit Sicherheit“ das Referendum zu ergreifen.

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