30.06.07: Kein Mitleid: Lebenslang für ehemalige Charité-Krankenschwester Irene B. wegen fünffachen Mordes

30.06.07: Kein Mitleid: Lebenslang für ehemalige Charité-Krankenschwester Irene B. wegen fünffachen Mordes

Im Prozess gegen die wegen mehrfachen Mordes angeklagte ehemalige Krankenschwester der Berliner Charité, Irene B., hat das Landgericht Berlin am 29. Juni 2007 sein Urteil gefällt. Wegen Mordes in fünf Fällen wurde die Angeklagte zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. In drei weiteren angeklagten Fällen sprach die Schwurgerichtskammer die 55-Jährige mangels Beweisen frei. Dies teilte die Präsidentin des Kammergerichts in einer Presseaussendung vom selben Tag mit.

In ihrem Urteil ging die Kammer von voller Schuldfähigkeit der Angeklagten aus und folgte hinsichtlich der Frage einer möglichen Einschränkung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit der Angeklagten dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen. Dieser hatte ausgeführt, dass die ehemalige Krankenschwester für die Taten voll verantwortlich sei, auch wenn sie an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leide.

Fünf Morde auf der Intensivstation

Das Gericht sah es laut Mitteilung als erwiesen an, dass die Angeklagte in der Zeit von Juni 2005 bis Oktober 2006 fünf schwer kranken Patienten auf der Intensivstation Kardiologie der Charité überdosierte oder nicht verordnete blutdrucksenkende bzw. sedierende Medikamente verabreicht habe, um diese zu töten. In allen Fällen habe die Angeklagte aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Die Taten seien daher als Mord und nicht lediglich als Totschlag, wie von der Verteidigung verlangt, zu werten.

Durch die Beweisaufnahme sei es widerlegt, dass sie, wie sie selbst als Begründung für ihre Taten angegeben hatte, „aus Mitleid“ mit den schwer kranken Patienten und deren mutmaßlichen Willen entsprechend gehandelt habe. Irene B. habe sich vielmehr zur „Herrin über Leben und Tod“ aufgeschwungen und eigenmächtig entschieden, dass das Leben der Patienten nun zu enden habe. Dabei habe sie keine näheren Kenntnisse über den entsprechenden mutmaßlichen Willen des jeweiligen Patienten gehabt.

Im Fall einer 48-jährigen Geschädigten habe sie sogar deren ausdrücklichen Willen, zuhause sterben zu wollen, missachtet und diese getötet. In drei der fünf Fälle sei darüber hinaus auch das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Bei zwei Patienten, die durch die Angeklagte in Reanimationssituationen getötet wurden, habe die Angeklagte schutzbereite Dritte bewusst umgangen und so unter Ausnutzung von deren Arg- und Wehrlosigkeit gehandelt.

Zu Beginn der seit dem 18. April 2007 andauernden Hauptverhandlung hatte Irene B. vier Taten gestanden, jedoch die weiteren ihr von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegten Fälle, zwei vollendete und zwei versuchte Fälle des Mordes, geleugnet (siehe das Themenspecial vom 20.04.07 unten). Als Motiv für ihre Taten hatte die Angeklagte angegeben, sie sei bei Begehung der Taten davon ausgegangen, dass ihr Handeln letztlich dem „Wohl der Patienten“ gedient habe. Sie bedauere aber im Nachhinein, dass sie in das Schicksal von Menschen eingegriffen habe, so das Gericht.

Eigene Vorstellung von lebenswertem Leben durchgesetzt

Der Vorsitzende führte in seiner mündlichen Urteilsbegründung aus, die Angeklagte habe ihre eigene Vorstellung von lebenswertem Leben durchgesetzt. Er stellte klar, dass es sich bei den vorliegenden Fällen nicht um Sterbehilfe gehandelt habe. Es gebe kein weniger schützenswertes Leben, denn es gebe keine Möglichkeit und keine Kriterien, zwischen verschiedenwertigen Leben zu differenzieren.

Deutliche Worte fand der Vorsitzende des Schwurgerichts in Richtung der Verantwortlichen der Charité, die Verdächtigungen und Informationen über Beobachtungen nur zögerlich weitergegeben hätten. Eine Verwaltung, die das zulasse, mache sich mitschuldig und gegebenenfalls strafbar. Es sei kein Raum für „arbeitsrechtliche Bedenkenträgerei“ und Angst vor ungerechtfertigter Verdächtigung, wenn das Leben von Menschen auf dem Spiel stehe. Medienberichten zufolge haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision gegen das Urteil angekündigt.

Ergänzende Informationen:

Nach oben