Symbolbild Sterbehilfe

06.04.12: Urteil Berliner Verwaltungsgericht: Kein uneingeschränktes Verbot der Überlassung todbringender Medikamente an Sterbewillige

Screenshot urteilDie Ärztekammer kann nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin kein uneingeschränktes Verbot der Überlassung todbringender Medikamente an Sterbewillige gegenüber einem Arzt aussprechen. Dieses Urteil fällte die 9. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts am 30.03.12 (AZ: VG 9 K 63.09).

Wie das Gericht in einer Pressemitteilung vom 02.04.12 zu dem Fall ausführte, hatte die Ärztekammer Berlin einem Arzt, der in Berlin tätig und zum damaligen Zeitpunkt zweiter Vorsitzender des Vereins Dignitate (heute: Dignitas Deutschland) war, im Jahr 2007 untersagt, anderen Personen todbringende Substanzen für deren beabsichtigten Suizid zum Gebrauch zu überlassen. Hiergegen hatte der Arzt geklagt.

Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts hielt das ausnahmslose berufsrechtliche Verbot in der Untersagungsverfügung, eine ärztliche Beihilfe zum Suizid durch Überlassen von Medikamenten zu begehen, im konkreten Fall für zu weitgehend und hat es deshalb aufgehoben.

Die Ärztekammer dürfe die Berufsausübung ihrer Mitglieder zwar auf der Grundlage des Berliner Kammergesetzes überwachen und bei drohenden Pflichtverstößen Untersagungsverfügungen erlassen, so das Gericht. Zu den Berufspflichten der Ärzte gehöre die gewissenhafte Ausübung ihres Berufs u. a. nach den Geboten der ärztlichen Ethik. Die ärztliche Ethik umfasse die durch den Ärztestand anerkannten, den einzelnen Standesgenossen bindenden Grundregeln des Berufs. Diesen Grundregeln sei ein allgemeines Verbot des ärztlich assistierten Suizids zu entnehmen. Hiergegen verstoße die Überlassung todbringender Medikamente an sterbewillige Personen, urteilte das Gericht.

Berufsrechtliche Verbot im konkreten Fall zu weitgehend

Gemessen am verfassungsrechtlichen Maßstab der Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) und der Gewissensfreiheit des Arztes (Art. 2 Abs. 1 GG) habe aber kein uneingeschränktes Verbot des ärztlich assistierten Suizids ausgesprochen werden dürfen.

Mit den genannten Grundrechten unvereinbar sei es nämlich, die ärztliche Beilhilfe zum Suizid auch in Ausnahmefällen unter Androhung eines Zwangsgeldes zu verbieten, in denen ein Arzt aufgrund einer lang andauernden, engen persönlichen Beziehung in einen Gewissenkonflikt geraten würde, weil die Person, die freiverantwortlich die Selbsttötung wünsche, unerträglich und irreversibel an einer Krankheit leide und alternative Mittel der Leidensbegrenzung nicht ausreichend zur Verfügung stünden. Der Kläger habe dargelegt, dass ein solcher Ausnahmefall für ihn außerhalb seiner Tätigkeit für den Sterbehilfeverein keine bloß theoretische Möglichkeit darstelle.

Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass ein Verbot der Überlassung todbringender Medikamente an Sterbewillige verfassungsrechtlich unbedenklich sei, soweit diese Gesunden oder in ihrer Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigten psychisch Kranken überlassen werden sollen. Ohne weiteres zulässig sei auch ein Verbot beruflicher oder organisierter Sterbehilfe, wie sie der Verein Dignitas anbiete. Das Gericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.

Das Urteil im Wortlaut lag bei Redaktionsschluss leider noch nicht schriftlich vor. Es soll aber umgehend nach Veröffentlichung auf der Webseite des Gerichts abrufbar sein und wird hier verlinkt. Zwei lesenswerte juristische Kommentare bietet Oliver Tolmein in seinem „FAZ.NET Blog Biopolitik“ und Prof. Dr. Winfried Kluth in „Legal Tribune Online“ (siehe unten).

Urteil bezieht sich nicht auf die Neufassung der Muster-Berufsordnung

MontgomeryDer Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, machte im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt am 4. April darauf aufmerksam, dass der Deutsche Ärztetag in Kiel erst im vergangenen Jahr eine Neufassung der (Muster-)Berufsordnung beschlossen hatte. Diese legt erstmals ausdrücklich das über das Strafrecht hinausgehende Verbot einer ärztlichen Beihilfe zu Selbsttötungen fest (siehe das Themenspecial vom 04.06.11 unten zu den Ärztetagsbeschlüssen zur ärztlichen Suizidbeihilfe). Das aktuelle Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das sich auf einen Fall von 2007 bezieht, konnte sich noch nicht auf diese Neufassung beziehen, betonte Montgomery.

Seiner Ansicht nach werde das Urteil außerdem „stark überhöht interpretiert“. Weiters sei auch die Feststellung des Gerichts von Bedeutung, dass gewerbsmäßige Sterbehilfe nicht erlaubt sei, vor allem nicht bei Menschen, die sich noch nicht im finalen Sterbeprozess befinden. Der Bundesärztekammer-Präsident hofft dem Bericht zufolge, dass letztendlich das Bundesverfassungsgericht die Frage beantworten wird, inwieweit Berufsrecht über Strafrecht hinausgehen darf.

Klares politisches Signal notwendig

Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz StiftungDie Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung forderte unterdessen ein klares, politisches Signal. „Der begleitete Suizid ist in Deutschland nicht verboten. Die aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin macht deutlich, dass das Berufsrecht der Ärzte kein Mittel ist, um die Frage des assistierten Suizids in Deutschland zu regeln. Das war im Übrigen schon seit Julius Hackethal klar, der einen solchen assistierten Suizid im Jahr 1984 vorbereitet hat. Deshalb brauchen wir jetzt ein klares, politisches Signal“, erklärte Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, in einer Pressemitteilung vom 3. April.

Die jüngst von der Koalition geplante, strafrechtliche Regelung müsse sowohl für die gewerbsmäßige als auch für die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid in Deutschland gelten. „Diese Frage liegt beim Deutschen Bundestag und muss endlich geklärt werden. Dabei hat das auch Konsequenzen für die Tätigkeit der Sterbehilfeorganisationen in Deutschland. Der klagende Arzt ist in der Sterbehilfeszene kein Unbekannter. Er war stellvertretender Vorsitzender in einer deutschen Sterbehilfeorganisation“, so Brysch.

Der Koalitionsausschuss von Union und FDP hatte Anfang März diesen Jahres beschlossen, die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung zu verbieten. Gestritten wird aber noch darüber, wie weitreichend das Verbot sein soll (siehe dazu das Themenspecial vom 08.03.12 unten)

Weiterführende Informationen:

Presseschau zum Berliner Verwaltungsgerichtsurteil zum Suizidbeihilfe-Verbot

Streit um Verbot der Sterbehilfe
Schwarz-gelbe Regierungskoalition, aber auch Ärzte und Ethiker uneins
Von Annette Rollmann
DEUTSCHLANDFUNK 04.04.12

Sterbehilfe: Wie weit geht das Berufsrecht?
Berlin – Eine Ärztekammer kann es nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin einem Arzt nicht uneingeschränkt verbieten, einem sterbewilligen Patienten todbringende Medikamente zu überlassen.
AERZTEBLATT.DE 04.04.12

BÄK-Präsident: Sterbehilfe-Urteil ist kein Freibrief
Ärzte Zeitung online, 04.04.12

Sterbehilfe: Legale Todescocktails
Von Thorkit Treichel
Das Verwaltungsgericht hat Sterbehilfe in Ausnahmefällen erlaubt und damit eine Verfügung der Ärztekammer gegen die Unterstützung beim Suidzid gekippt. Während der Sterbehilfe-Befürworter von einem Grundsatzurteil spricht, prüft die Kammer nun eine Berufung.
BERLINER ZEITUNG 03.04.12

Instanzgericht will Ärzten Suizidbeihilfe erlauben
Mediziner darf Todesarznei überlassen
von Prof. Dr. Winfried Kluth
LEGAL TRIBUNE Online 03.04.12

Gerichtsurteil: Arzt darf todbringendes Medikament überlassen
Von Claudia Fuchs
Berlin – Das Verwaltungsgericht hebt ein Verbot der Ärztekammer auf, todkranken Patienten Medikamente zum Suizid zu überlassen.
BERLINER ZEITUNG 02.04.12

Arzthilfe beim Suizid?
Von Oliver Tolmein
FAZ.NET 02.04.12

Gericht kippt Sterbehilfe-Verbot
Das generelle Verbot für dem ärztlich assistierten Suizid steht auf der Kippe: Jetzt hat das Berliner Verwaltungsgericht die einschlägige Regelung als verfassungswidrig eingestuft.
Ärzte Zeitung, 01.04.12

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