12.12.08: Großbritannien Sterbehilfe-Debatte nach Ausstrahlung von Suiziddokumentation
Die Ausstrahlung einer Dokumentation mit dem Titel „Right to die?“ über einen begleiteten Suizid eines gelähmten Mannes durch die Schweizer Sterbehilfe-Organsiation Dignitas löste in Großbritannien und Deutschland eine heftige Debatte über Sterbehilfe aus.
In dem vom britischen Bezahlsender Sky Real Lives am 10.12.08 zur besten Sendezeit um 21 Uhr ausgestrahlten Beitrag wurde gezeigt, wie der unheilbar erkrankte Professor Craig Ewert in den Dignitas-Räumen eine Überdosis Schlafmittel trinkt und dann einschläft, umgeben von seiner Frau und den Kameras.
Craig Ewert litt an der unheilbaren Nerven- und Muskelkrankheit ALS, die zu einer Lähmung des Körpers und nach Aussagen der Ärzte in zwei bis fünf Jahren zum Tod geführt hätte. Als sich der Verlauf der Krankheit jedoch früher als gedacht beschleunigte, entschloss er sich zu einem begleiteten Selbstmord in der Schweiz. Dort starb er im September 2006 mit 59 Jahren. Aufgenommen wurde sein Tod von Oscar-Preisträger John Zaritsky. Ewert habe diesen Film quasi als Aufklärung in seiner Rolle als Lehrer betrachtet, erklärte seine Frau gegenüber den Medien.
Kontroverse Diskussionen im Vorfeld
Die Ausstrahlung hatte bereits im Vorfeld für kontroverse Diskussionen gesorgt. Kritiker warfen dem Sender pietätlose Quotenjagd vor. Medienberichten zufolge habe der Sender dagegen die Dokumentation als „Bildungsfernsehen“ verteidigt. Der Beitrag thematisiere einen schwierigen, gleichwohl kontroversen Entscheidungsprozess, vor dem heute manch ein Patient stehe. Auch deutsche Medien verurteilten überwiegend die Ausstrahlung der Dokumentation.
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verband (DJV), Michael Konken, kritisierte in einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung am 12.12.08, die Dokumentation sei „aus medienethischer Sicht nicht zu verantworten“. Es bestehe die Gefahr, dass durch solche TV-Beiträge die Nachfrage nach moralisch fragwürdigen Sendungen geschaffen werde. In Deutschland widersprächen derartige Sendungen dem Pressekodex des Deutschen Presserates, erläuterte der DJV-Vorsitzende. Dieser Kodex verpflichtet Journalisten zur Achtung vor der Wahrheit und Wahrung der Menschenrechte sowie zur Achtung von Privatleben und Intimsphäre.
Der Sterbende verliert seine Würde
Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, kritisierte die Ausstrahlung des Films. „Wenn das Sterben öffentlich inszeniert wird, verliert der Sterbende seine Würde. Auch eine TV-Dokumentation muss da ihre Grenzen finden, wo die Individualität des Sterbens beginnt“, erklärte Hoppe in einer Pressemitteilung. Dem Menschen im Sterben die Würde zu bewahren, sei Aufgabe der Angehörigen und Ärzte.
„Der Sterbende darf nicht alleingelassen werden. Er braucht Zuwendung und Linderung seiner Schmerzen. Hospiz und Palliativmedizin können das leisten. Wenn nun aber medial dargestellt wird, dass Selbsttötung der vermeintlich leichtere Weg ist, dann wird das unverantwortliche Konsequenzen gerade für labile Menschen nach sich ziehen“, warnte Hoppe. „Wir Ärzte appellieren deshalb eindringlich an diejenigen, die mediale Öffentlichkeit herstellen, Sterbehilfe nicht als scheinbar ideale Handlungsanleitung zum Freitod zu inszenieren, sondern mehr über die Möglichkeiten der ärztlichen Sterbebegleitung zu informieren“, forderte der Präsident der Bundesärztekammer.
Menschenverachtend und unverantwortlich
Die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), Dr. med. Claudia Kaminski, kritisierte in einer Pressemitteilung vom 11.12.08, es sei „menschenverachtend und unverantwortlich“ einen Film auszustrahlen, der einen Menschen beim Suizid zeigt. „Der Moment des Sterbens gehört zur absoluten Intimsphäre von Menschen und eignet sich daher niemals zur öffentlichen Zurschaustellung. Ferner wissen wir aus der Suizidforschung, dass sich Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, in einem emotional und psychisch extrem kritischen Ausnahmezustand befinden. Berichte und Bilder, welche die Selbsttötung verherrlichen oder verharmlosen, können in einer solchen Situation den entscheidenden Ausschlag für einen Suizidversuch geben“, warnte Kaminski.
Wer den Suizid eines Menschen filmt oder beschreibt, mache sich mitschuldig an den Suizidversuchen weiterer Menschen. „Nachdem der Dokumentarfilm, der den Suizid eines US-Amerikaners zeigt, bereits in der Schweiz und jetzt in Großbritannien ausgestrahlt wurde, ist die Politik gefordert, durch entsprechende Maßnahmen sicherzustellen, dass so etwas in Deutschland unmöglich wird“, forderte die BVL-Vorsitzende.
Weitere Ermittlungen gegen Roger Kusch und seinen Sterbehilfeverein
Unterdessen berichtete der Norddeutsche Rundfunk NDR, das Finanzamt Hamburg Nord habe nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Sterbehelfer Roger Kusch (siehe Themenspecial vom 06.12.08 unten) eine Überprüfung des umstrittenen Sterbehilfevereins „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.“ eingeleitet. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins „Panorama“ untersucht die Behörde, ob der Verein weiterhin als gemeinnützig gelten darf.
Der Verein ist bislang als gemeinnützig anerkannt und soll laut Satzung lediglich über das Thema Sterbehilfe informieren. Daneben betreibt Kusch eine private Suizidbegleitung, für die er in der Regel 8000,- Euro verlangt. Jetzt werde unter anderem geprüft, ob die gesetzlich vorgeschriebene Trennung zwischen dem gemeinnützigen Verein und dem privaten Geschäft des Roger Kusch eingehalten wird, so der NDR in einer Pressemitteilung vom 11.12.08.
Ergänzende Informationen:
- Craig Ewerts letzter Wille
Ein vom Fernsehen ausgestrahltes Selbstmord-Video löst in England eine Diskussion über Sterbehilfe aus
Von Wolfgang Koydl
SUEDDEUTSCHE.DE 12.12.08
- Nächstenliebe oder Profitgier? Sterben mit Roger Kusch
Panorama vom 11.12.08
- Nach mehrfacher Suizidbegleitung: Razzien bei Hamburger Sterbehelfer Kusch
Themenspecial vom 06.12.08