03.08.12: Überarbeiteter Referenten-Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung: Sturm der Entrüstung über mögliche Liberalisierung
Im April 2012 hat das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung vorgelegt.
Mittlerweile haben mehrere Organisationen Stellung bezogen und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aufgefordert, beim Gesetzentwurf dringend nachzubessern (siehe unten das Themenspecial vom 08.06.12, ergänzt am 23.06.12).
Mitte Juli 2012 hat das Bundesjustizministerium nun einen überarbeiteten Entwurf vorgelegt. Doch hierbei handelt es sich offensichtlich um eine „Verschlimmbesserung“ des vorherigen Papiers.
Konkret sieht der neue Referentenentwurf vom 18.07.12 die Schaffung eines neuen Straftatbestands im Paragraph 217 des Strafgesetzbuch vor, der in Absatz 1 die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Diese Tätigkeit soll „als abstrakt das Leben gefährdende Handlung“ verboten werden.
Ergänzend gegenüber dem alten Entwurf wurde nun ein Absatz 2 hinzugefügt, wonach „Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen, die sich lediglich als nicht gewerbsmäßig handelnde Teilnehmer an der Tat beteiligen“, von der Strafandrohung ausgenommen werden. Diese Ergänzung sorgte jetzt bei Politikern, Ärzte- und Kirchenvertretern für einen Sturm der Entrüstung.
Bundesärztekammer-Präsident Montgomery: „Ein Stück aus dem Tollhaus“
Nach Auffassung des Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, ist der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums schlicht „ein Stück aus dem Tollhaus“. „Erst soll die gewerbsmäßige Sterbehilfe verboten werden und dann will das Justizministerium die gesetzlichen Grundlagen für Ärzte als Sterbehelfer schaffen. Aber unsere Position ist klar, als Sterbehelfer stehen wir Ärzte nicht zur Verfügung“, so Montgomery in einem Pressestatement vom 31.07.12.
„Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen aber verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten und sie dürfen auch keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Das ist in der Muster-Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland klar geregelt und findet sich so auch in den Berufsordnungen der Ärztekammern wieder“, erklärte der BÄK-Präsident. Diese seien nach den Heilberufegesetzen den Bundesländern unterstellt.
„Wenn das Bundesjustizministerium nun in dem jüngsten Referentenentwurf meint, diese Länderzuständigkeit über ein Bundesgesetz aushebeln zu können, ist es schlecht beraten. Warum das Justizministerium grundlegende medizin-ethische Werte in Frage stellt, Kompetenzen der Bundesländer ignoriert und einen Koalitionsstreit als Sommertheater inszeniert, bleibt unverständlich“, so Montgomery.
Justizministerium macht assistierte Suizidhilfe salonfähig
Kritik an dem überarbeiteten Referentenentwurf übte auch der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch.
„Mit dem überarbeiteten Referentenentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung setzt Frau Leutheusser-Schnarrenberger nach eigener Aussage den Koalitionsbeschluss 1:1 um. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der assistierte Suizid soll in Deutschland salonfähig gemacht werden. So geht es der Justizministerin nicht darum, Suizidhandlungen möglichst zu verhindern, sondern Freiräume zu schaffen und die gesellschaftliche Akzeptanz des assistierten Suizids zu fördern“, erklärte Brysch in einer Presseaussendung vom 31.07.12.
„Überzeugungstätern“, die ihr Suizidangebot wiederholt unendgeldlich anbieten, werde so zukünftig nicht beizukommen sein. Bedenklich sei auch, dass das Justizministerium den Kreis der Personen erweitert, die straffrei den gewerbsmäßigen Suizidhelfer unterstützen dürfen. „Nun kommen zu Angehörigen auch Ärzte und Pflegekräfte, sofern sie „nahe stehende Personen“ sind. Was „nahe stehende Personen“ sind, muss jeder Richter im Zweifel selbst definieren“, gibt Brysch zu bedenken.
Die Patientenschützer machen darauf aufmerksam, dass der assistierte Suizid nicht die Fortführung der Sterbebegleitung ist. „Deshalb geht es nicht darum, Angehörige, die beim assistierten Suizid unterstützen, zu kriminalisieren, denn sie bleiben auch schon nach der heute gültigen Rechtssprechung straffrei. Die Bundesjustizministerin wird aufgefordert, sich nicht länger den Argumenten zu verschließen, dass durch das reine Verbot der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe, der Druck auf verzweifelte, alte und kranke Menschen enorm ansteigt. Hier muss nachgebessert werden“, forderte Brysch.
„Mit dem Bekanntwerden des Gesetzentwurfs zur gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung hat die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger quer durch die Republik einen Kommunikationsgau ausgelöst. Aus der Begründung zum Straftatbestand wird zu wenig deutlich, was unter Strafe stehen und was straffrei bleiben soll. Es hat den Anschein, dass die Justizministerin ein ungeliebtes Gesetz der Koalitionsvereinbarung auf diesem Weg scheitern lassen will“, so sein Fazit.
Sonstige Kritik
Auch Bundestagsabgeordnete, insbesondere von Union und den Grünen, sowie Kirchenvertreter verrissen mit ähnlichen Argumenten in Pressestatements das neue Papier aus dem Bundesjustizministerium.
In den Medien wurde die Kritik kontrovers aufgenommen. So kritisierten einige Berichterstatter, die Kritiker hätten den Entwurf nicht wirklich gelesen bzw. nicht verstanden (siehe unten den Beitrag in der „Welt Online“ vom 01.08.12). Weiters hieß es, das neue Gesetz sei für Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nach eigenem Bekunden „keine Herzensangelegenheit“. Sie setze lediglich die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag von Union und Liberalen um.
Justizstaatssekretär Stadler weist Kritik zurück
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Dr. Max Stadler wies die Kritik am Gesetzentwurf zur Sterbehilfe zurück. In einem Statement am 02.08.12 auf der Webseite des Ministeriums widerspricht er der Darstellung, dass bald mehr Sterbehilfe möglich sei oder gar die Sterbehilfe in irgendeiner Form geregelt werde. „Künftig soll der bestraft werden, der Hilfe zum Suizid anbietet, um damit Gewinne zu erzielen“, erklärte Stadler zur aktuellen Debatte. Es werde „nicht mehr erlaubt als bislang.“ Auch werde laut Stadler „mehr bestraft, nicht weniger.“
Wie er ausführte, betrifft der Entwurf gewerbsmäßige Suizidhelfer. Ausgangspunkt sind die Aktivitäten des ehemaligen CDU-Senators Roger Kusch in Hamburg. „Da die Selbsttötung in Deutschland straflos ist, kann man sich bislang auch nicht wegen Beihilfe zur Selbsttötung strafbar machen. Im Koalitionsvertrag ist die Bestrafung der „gewerbsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung“ vereinbart. Mit dem Gesetzentwurf bleibt der Suizid straflos und auch für die Beihilfe ändert sich nichts, wenn diese nicht gewerbsmäßig organisiert wird. Sobald aber jemand einem anderen beim Suizid hilft, um damit fortlaufend Geld zu verdienen, macht er sich nach den Vorschriften des Entwurfs strafbar“, so Stadler.
Aus der neuen Strafbarkeit gewerbsmäßiger Suizidhelfer folge jedoch auch die Strafbarkeit aller, die bei der gewerbsmäßigen Sterbehilfe helfen. „Unter Umständen kann also der Ehemann, der seine Ehefrau zur – dann strafbaren – gewerbsmäßigen Sterbehilfe begleitet, ebenfalls angeklagt werden. Damit ginge die Strafe nach der künftigen Rechtslage jedoch sehr weit.
Sinn und Zweck des Entwurfs ist die Eindämmung kommerziell betriebener Hilfe bei der Selbsttötung. Dieser Zweck wird mit der Bestrafung des Ehemanns nicht erreicht. Deshalb sieht der Gesetzentwurf eine enge Ausnahme für Angehörige und nahe stehende Personen vor“, heißt es weiter in seiner Erklärung. Diese Vorschrift werde derzeit oft missverstanden. Mit dieser Ausnahme für Angehörige und nahe stehende Personen werde nichts erlaubt, was jetzt unter Strafe steht, versicherte der Justizstaatssekretär.
Weiterführende Informationen:
- Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung
Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz
14 Seiten, Bearbeitungsstand: 18.07.12
Anm.: Nicht mehr abrufbar, Stand 21.05.12
- Strafbare und straflose Formen der Sterbehilfe nach geltendem Recht
Als Orientierung in der Sterbehilfe-Debatte erläutert das Bundesjustizministerium die wichtigsten Begrifflichkeiten. Was bedeutet „aktive“ und „passive“ Sterbehilfe? Ist auch die „indirekte Sterbehilfe“ strafbar? Darf man nach geltendem Recht jemandem helfen, sich selbst zu töten?
Bundesministerium der Justiz 08.08.12
Anm.: Diese Seite stammt aus einem Webarchiv, da auf der BMJ-Seite nicht mehr abrufbar.
- 08.06.12, ergänzt am 23.06.12: Themenspecial: Kritik an Referenten-Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der Förderung der Suizidbeihilfe – Verbände fordern Überarbeitung
- Verwirrung um neuen Sterbehilfe-Gesetzentwurf
Sterbehilfe-Gegner fallen über das Justizministerium her. Sie kritisieren eine Liberalisierung, die gar nicht geplant ist. Denn tatsächlich wurden die Regeln verschärft – mit wenigen Ausnahmen.
Von Matthias Kamann
WELT Online 01.08.12
Anm.: Der Artikel kann kommentiert werden.
- „Gesetzentwurf ist Freifahrtschein für Sterbehelfer“
Rechtsmediziner Michael Tsokos über die Unwägbarkeiten bei der Sterbehilfe und Lösungsansätze.
TAGESSPIEGEL 03.08.12
- 09.03.12: Koalitionsausschuss von Union und FDP will Verbot gewerbsmäßiger Förderung der Selbsttötung
Der Koalitionsausschuss von Union und FDP hat bei seinem Treffen am 04.03.12 beschlossen, dass Geschäfte mit der Sterbehilfe verboten werden sollen. Konkret wollen sie die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellen und dafür einen neuen Tatbestand im Strafgesetzbuch schaffen.
Presseschau zum Gesetzentwurf zum Verbot der Suizidbeihilfe
Ergänzend haben wir eine Presseschau mit chronologisch sortierter Auswahl an Meldungen zur Debatte um ein Verbot der Suizidbeihilfe zusammengestellt. Die Beiträge werden laufend weiter ergänzt