08.06.12, ergänzt am 23.06.12: Kritik an Referenten-Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der Förderung der Suizidbeihilfe – Verbände fordern Überarbeitung

Bild SterbehilfeVor kurzem hat das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung vorgelegt. Mittlerweile haben mehrere Organisationen Stellung bezogen. Darin fordern sie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auf, beim Gesetzentwurf dringend nachzubessern.

Wie die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung am 04.06.12 in einer Presseaussendung mitteilte, soll nach dem Referentenentwurf die gewerbsmäßige, auf Gewinnerzielung ausgerichtete Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt werden. Die geschäftsmäßige, also auf organisierte und Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe, soll straflos bleiben. Im März diesen Jahres hatte sich Koalitionsausschuss bereits darauf verständigt, die gewerbsmäßiger Förderung der Selbsttötung zu verbieten (siehe dazu das Themenspecial vom 08.03.12). Der Referentenentwurf war online bislang leider nicht abrufbar.

Staatliches Eingreifen notwendig

„Beide Angebote zur Suizidbeihilfe nehmen in gleicher Weise Einfluss auf die freiverantwortliche Entscheidung des vermeintlich Lebensmüden: Es besteht die Gefahr, dass die Suizidbeihilfe ein alltägliches Angebot wird oder, da immer leicht verfügbar, Druck auf Betroffene ausgeübt wird. Dies macht staatliches Eingreifen notwendig“, so die Patientenschützer.

In ihrer Stellungnahme unterstreichen sie, dass das Grundgesetz jedem das Recht über den eigenen Körper und damit die Entscheidung über den eigenen Suizid garantiert. Jedoch sei die Suizidbeihilfe keine normale Therapieoption. Es brauche Rechtsklarheit. Das Verbot der gewerblichen Suizidbeihilfe könne das nicht leisten, wie das Beispiel der Schweiz zeige. Dort gibt es bereits das jetzt in Deutschland beabsichtigte Verbot der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe. Obwohl bis zu 8.000 Euro von den Sterbewilligen verlangt würden, seien den Schweizer Staatsanwälten die Hände gebunden, da die Vorstandsmitglieder keine aktiven Suizidhelfer seien.

„Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger muss wissen, dass die organisierte Suizidhilfe ein Lebensrisiko ist. Wenn auch Depressionen und die Angst vor demenziellen Erkrankungen begleitete Selbsttötung möglich machen, ist eine Gesellschaft auf dem Irrweg“, sagte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. Es komme nicht darauf an, Einzelfälle unter Strafe zu stellen, sondern das konzeptionelle Vorgehen von Sterbehilfeorganisationen zu verhindern. „Es wäre ein fatales Signal, durch ein falsch gemachtes Gesetz den Suizidhelfern auch noch Freiräume zu schaffen, weil das strafrechtliche Verbot nicht wirkt. Entweder ein gutes oder gar kein Gesetz“, so Brysch.

Hilfe zum Leben muss geboten, Beihilfe zur Selbsttötung verboten sein

Bild EngelKritik kam auch vom Bundesverband Lebensrecht (BVL). Dessen Vorsitzender Martin Lohmann erklärte in einer Presseaussendung vom 05.06.12, das geplante Verbot lediglich der „gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ greife zu kurz.

„Es darf in einem Land, das sich der Unantastbarkeit der Würde des Menschen verpflichtet weiß, überhaupt keine wie auch immer geartete „Förderung“ des Selbstmordes geben. Es muss daher nicht nur ein Verbot der gewerblichen Beihilfe oder Förderung des Suizids geben, sondern auch ein Verbot einer ehrenamtlichen oder sonst wie organisierten Hilfe bei der Selbsttötung. Auch und gerade dann, wenn Menschen aus welchen Gründen auch immer ihrem Leben ein irdisches Ende setzen wollen, darf es keinen Zweifel daran geben, dass wir einer Kultur des Lebens und der Lebenshilfe verpflichtet sind, nicht aber einer Unkultur des Tötens“, mahnte Lohmann.

„Wer sich selbst töten will, tut dies meist auch deshalb, weil er nicht die nötige und mögliche Hilfe und Unterstützung seiner Mitmenschen bekommt und sich allein gelassen fühlt. Darum muss immer gelten: Hilfe zum Leben muss geboten, Beihilfe zur Selbsttötung hingegen verboten sein. Daher gilt: Jede Beihilfe zum Suizid muss verboten sein!“

Auch ehrenamtliche Suizidbegleitung wäre verwerflich

Auch die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) fordert ein gesetzliches Verbot jeglicher organisierter Sterbehilfe und begründet dies ähnlich wie der BVL. „Es wäre fatal, wenn der Gesetzgeber tatsächlich nur die kommerzielle Beihilfe zum Suizid verbieten wollte. Auch eine ehrenamtlich organisierte Suizidbegleitung ist verwerflich und mit der Würde des Menschen nicht vereinbar“, erklärte die ALfA-Bundesvorsitzende, Dr. med. Claudia Kaminski, in einer Pressemitteilung.

„Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – mit dem Gedanken tragen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, wünschen sich in den allermeisten Fällen nicht den Tod, sondern ein Leben unter anderen Bedingungen. Erwogen wird die Möglichkeit eines Suizids von den allermeisten Menschen erst dort, wo ein solches Leben unerreichbar scheint“, so die Ärztin. Aufgabe einer humanen und solidarischen Gesellschaft sei es daher, solchen Menschen Wege zu einem Leben unter anderen Bedingungen aufzuzeigen, statt ihnen solche zu bahnen, die aus dem Leben führen. Die Aktion Lebensrecht für Alle fordert daher – wie mehrere deutsche Bundesländer, die Bundesärztekammer und die Deutsche Bischofskonferenz – ein gesetzliches Verbot jeder organisierten Beihilfe zum Suizid.

Ergänzung vom 23.06.12: Wachsender Widerstand gegen Suizidbeihilfe-Gesetzentwurf

Von juristischer Seite hat unterdessen die Juristen-Vereinigung Lebensrecht (JVL) zu dem Gesetzentwurf Stellung bezogen. Die JVL lehnt ihn in der jetzigen Form als „unzureichend“ ab. „Der Suizid eines Menschen geschieht nur extrem selten freiverantwortlich. Weit mehr als 90 Prozent aller Suizide sind durch Depressionen oder andere psychische Erkrankungen verursacht. Menschen, die an solchen Krankheiten leiden, bedürfen ärztlicher Heilbehandlung sowie menschlicher Solidarität und Hilfe. Die Schutzpflicht des Staates für ihr Leben gebietet es, sie vor der Gefahr eines kranheitsbedingten Entschlusses zur Selbsttötung zu schützen“, erklärte der Vorsitzende der Vereinigung, Bernward Büchner, VRiaVG a. D., in einer Presseaussendung vom 19.06.12.

Eine solche Gefahr gehe typischerweise nicht nur von kommerzieller, mit der Absicht der Gewinnerzielung oder geschäftsmäßig erfolgender, sondern von jeder organisierten Beihilfe zum Suizid aus. Sie sei gleichermaßen ethisch verwerflich. Denn sie verleihe der Selbsttötung als scheinbar alternativloser „Hilfe“ im Zustand der Krankheit den Anschein der Normalität und biete nicht die Gewähr einer seriösen Beratung und Betreuung sterbewilliger Patienten.

„Ein wirksamer Schutz vor dieser Gefahr verlangt ein strafbewehrtes Verbot jeder organisierten Beihilfe zur Selbsttötung. Der Suizid bzw. sein (erfolgloser) Versuch steht zwar – aus verständlichen Gründen – nicht unter Strafe, weshalb auch die Beihilfe hierzu nicht strafbar ist. Dies schließt jedoch keineswegs aus, die organisierte und deshalb besonders gefährliche Beihilfe zur Selbsttötung eigens strafrechtlich zu verbieten. Dem steht auch nicht entgegen, dass Selbsttötungen in seltenen Fällen freiverantwortlich erfolgen. Denn die Rechtsordnung gebietet es nicht, für solche Fälle das Angebot einer organisierten Beihilfe zu gewährleisten“, so Büchner abschließend.

Alleiniges Verbot der gewerbsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung bedeutet stillschweigende Akzeptanz der nicht-gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe

Vergangene Woche hat auch der Verein „Ärzte für das Leben e.V.“ seine Ablehnung des derzeitigen Referenten-Entwurf des Bundesjustizministeriums bekundet. Die entschiedene Ablehnung ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass die Bedingung der Gewerbsmäßigkeit sehr leicht zu umgehen ist, sondern „vor allem aus der klaren Implikation, dass ein alleiniges Verbot der gewerbsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung die stillschweigende Akzeptanz der nicht-gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe bedeutet“, heißt es in einer Presseerklärung vom 15.06.12

„Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, wünschen in der Regel nicht den Tod, sondern ein Leben unter besseren Bedingungen. Die Aufgabe des Arztes ist es, ihnen hierbei zu helfen und beizustehen, nicht aber, ihnen den Weg in den Tod zu bahnen“, so die Ärztevereinigung. Sie wies darauf hin, dass im November 2011 die Bundesärztekammer in der Musterberufsordnung für Ärzte folglich festgestellt hatte, dass „Ärztinnen und Ärzte… keine Hilfe zur Selbsttötung leisten [dürfen].“ Ärzte für das Leben e.V. fordern daher – wie die Bundesärztekammer – ein gesetzliches Verbot jeder Beihilfe zum Suizid.

Ergänzung 03.08.12: Überarbeiteter Referenten-Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung: Sturm der Entrüstung über mögliche Liberalisierung

Am 18.07.12 hat das Bundesjustizministerium nun einen überarbeiteten Entwurf vorgelegt. Doch hierbei handelt es sich offensichtlich um eine „Verschlimmbesserung“ des vorherigen Papiers.

Mehr im Themenspecial: Überarbeiteter Referenten-Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung: Sturm der Entrüstung über mögliche Liberalisierung

Ergänzende Informationen:

Presseschau zum Gesetzentwurf zum Verbot der Suizidbeihilfe

Ergänzend finden Sie eine Presseschau mit chronologisch sortierter Auswahl an Meldungen zur Debatte um ein Verbot der Suizidbeihilfe.

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