04.06.21: Suizidhilfe-Debatte: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) fordert Rechtssicherheit bei Suizidassistenz zu schaffen
Im Rahmen der Debatte um eine Neuregelung der Suizidbeihilfe fordert der Arbeitskreis Ärzte und Juristen in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) den Gesetzgeber zur Schaffung von Rechtssicherheit bei der Suizidassistenz auf.
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil im Jahr 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe als nichtig und unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat, blieben viele Fragen offen, heißt es in einer AWMF-Pressemitteilung vom 01.06.21. Um Rechtssicherheit für alle zu generieren, brauche es eine konkrete Regelung darüber, wer Suizidhilfe leisten darf und wie die Rahmenbedingungen dazu aussehen. Dies fordern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Arbeitskreises Ärzte und Juristen der AWMF e.V. bei ihrer Tagung am 01.06.2021.
Auf Einladung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte die AWMF in enger Abstimmung mit ihren Mitgliedsgesellschaften bereits im Jahr 2020 eine Stellungnahme zu erforderlichen Neuregelungen entwickelt. In seiner jüngsten Sitzung diskutierte jetzt auch der Arbeitskreis Ärzte und Juristen über eine mögliche Neuregelung der Suizidassistenz in Deutschland.
Das Bundesverfassungsgericht stellte 2020 fest, dass es ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben gebe. Dieses Recht bestehe unabhängig von Krankheit oder besonderen Lebenssituationen. Nach Auffassung des Gerichts müsse der Staat einen Suizidwunsch respektieren. Wie eine Neugestaltung des Rechts aussehen könnte, ließ das Gericht offen.
Die AWMF hat sich gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium bereits im Juni 2020 in einer Stellungnahme zum Urteil und möglichen zukünftigen Regelungen geäußert.
Derzeit unklare Rechtslage im Bereich der Suizidassistenz
„Die Rechtslage im Bereich der Suizidassistenz ist derzeit unklar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe für nichtig erklärt. Auch der Deutsche Ärztetag hat das Verbot der Suizidhilfe aus der Berufsordnung gestrichen. Dennoch sieht der Ärztetag die Suizidhilfe nicht als ärztliche Aufgabe an. Wir befinden uns in einer rechtlich offenen Lage, weil es keine Regelungen dazu gibt, wer unter welchen Voraussetzungen Suizidassistenz leisten kann“, erläuterte Professor Dr. iur. Henning Rosenau, einer von drei Leitern des Arbeitskreises.
Nach „intensiver Diskussion“ sei sich der Arbeitskreis einig: Um Rechtssicherheit für Alle zu generieren, brauche es eine konkrete Regelung darüber, wer Suizidhilfe leisten darf und wie die Rahmenbedingungen dazu aussehen.
Angemessener Umgang mit Todeswünschen
„Es kommt darauf an, ein Konzept zu erarbeiten, welches das Recht auf selbstbestimmtes Sterben mit dem Schutz des Lebens in Einklang bringt. Im Sinne der Selbstbestimmung muss die Freiwilligkeit, Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit des Suizidwunsches festgestellt werden“, sagte Professor Dr. med. Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, LMU – Klinikum München. Dies sei schon allein deshalb wichtig, um das Leben der Betroffenen zu schützen, die beispielsweise durch eine psychische Erkrankung, eine akute psychische Belastungssituation oder unkontrolliertes Leiden bei einer fortgeschrittenen Erkrankung in ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt sind.
„Gesetzliche Regelungen müssen daher so ausgestaltet sein, dass Menschen in diesen Situationen zeitnah Unterstützung bekommen“, betonte Bausewein. Sie brachte die Sichtweise der Palliativmedizin im Rahmen ihres Vortrags in die Diskussion der Ärzte und Juristen ein. Auch bei Menschen mit fortgeschrittenen Erkrankungen müsse angemessen mit Todeswünschen umgegangen werden, da es sich hier häufig nicht um tatsächliche Suizidwünsche handle, sondern der Wunsch nach Schmerzlinderung, die Angst vor dem Verlust der Selbstbestimmung oder die Sorge, der Familie zur Last zu fallen im Vordergrund stehe.
Es brauche somit eine zeitnahe und adäquate Suizidprävention und palliativmedizinische Versorgung, waren sich die Sitzungsteilnehmenden dem Bericht zufolge einig. Dafür müssten aber auch ausreichende psychiatrische, therapeutische und palliativmedizinische Versorgungsstrukturen vorhanden sein.
Bereits in ihrer Stellungnahme aus dem vergangenen Jahr hat die AWMF skizziert, welche Aspekte eine solche Neuregelung zu berücksichtigen habe. Um die Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen zu prüfen, sollten beispielsweise grundsätzlich Ärztinnen und Ärzte mit psychiatrischer oder psychotherapeutischer Expertise zur Konsultation hinzugezogen werden, wenn der behandelnde Arzt keine entsprechende Aus- und Weiterbildung hat.
Über die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V.
Die AWMF e.V. bündelt laut Selbstbeschreibung die Interessen der medizinischen Wissenschaft und trägt sie verstärkt nach außen. Sie handelt dabei im Auftrag ihrer 180 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Die Arbeitsgemeinschaft wurde 1962 gegründet. Ziel ist es, gemeinsame Interessen stärker gegenüber dem Staat und der ärztlichen Selbstverwaltung zu positionieren. Sie erarbeitet seitdem Empfehlungen und Resolutionen und vertritt diese im wissenschaftlichen und politischen Raum.
Die AWMF ist Ansprechpartner für gesundheitspolitische Entscheidungsträger, wie den Gemeinsamen Bundesausschuss. Die Arbeitsgemeinschaft koordiniert dabei die Entwicklung und Aktualisierung medizinisch- wissenschaftlicher Leitlinien in Deutschland. Jede gemeinnützige Fachgesellschaft in Deutschland kann Mitglied werden, sofern sie sich wissenschaftlichen Fragen der Medizin widmet. Die AWMF finanziert sich vorwiegend durch die Beiträge ihrer Mitgliedsgesellschaften und Spenden.
Weitere Informationen:
Sitzung des Arbeitskreis Ärzte und Juristen in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) am 30.05/01.06.2021
Dort gibt es die Vorträge als Download.
Unsere Themenrubrik Debatte um ein Verbot der Suizidbeihilfe